Roman

  • Biogragisch/Autobiografisch,  Roman

    Die Welt die meine war – Die neunziger Jahre von Ketil Bjørnstad

    Nach den 60ger, 70ger und 80ger Jahren sind es nun die 90ger. Ketil Bjørnstads, autobiografisches Großprojekt ist also weit fortgeschritten und dank des Osburg Verlages auch auf Deutsch zu lesen.

    Ketil Bjørnstad ist in den 90ger Jahren angekommen, weltweiter Erfolg als Jazzpianist stellt sich ein und doch tut er sich immer noch schwer, weil er nicht bei der Klassik geblieben ist. Immer mal wieder taucht ein Gefühl von Verrat an seiner Musiklehrerin Amelie Christie auf, die ihm den Wechsel nie verziehen hat. Doch neben der musikalischen Arbeit mit Kari Bremness, David Darling, Terje Riksdahl, Jon Christensen und vielen mehr geht es für ihn voran und in die Welt hinaus. Privat geht die erste Ehe in die Brüche, damit einher geht der Abschied vom Inselleben auf Sandøya und der Verflust von Freundschaften. Die Journalistin C. tritt in sein Leben und der Lebensmittelpunkt verlagert sich nach Oslo.

    Auch als Autor geht es gut voran. Villa Europa entsteht, ein Buch basierend auf Edvard Munchs Briefen und Notizen, ebenso, daraus wird auch ein Konzertprojekt. So geht es munter voran. Reisen in die USA, Bangladesh und ein zweijähriger Aufenthalt in Paris. Bjørnstad ist wie eine Kerze die an beiden Enden brennt, sagen seine Freund:innen. Er kann schlecht NEIN sagen, ist immer unterwegs und irgendwann erschöpft, doch kaum wieder auf den Beinen geht es weiter. Und jedes Jahr sagt Mutter Bjørnstad: ‚Es geht auf Weihnachten, da wird etwas Schlimmes geschehen‘. So ist es denn auch meistens. Denn „Die Welt die meine war -“ behandelt nicht nur die persönlichen Erlebnisse des Autors, sondern es ist auch eine Reise durch die Vorgänge der Zeit. Die Wiedervereinigung Deutschlands, die Auflösung der Sowjetunion, Flugzeugabstürze, Fluten und andere Katastrophen, ganz zu Schweigen von Bill Clintons sexuellen Unternehmungen. Die Katastrophe die ausbleibt, ist der Zusammenbruch der Wirtschaft durch die Datumsumstellung auf 2000.

    Ein Leseerlebnis der besonderen Art. Bjørnstad ist in den 90gern in seinen 40zger Jahren. Er ist beruflich erfolgreich und scheint manchmal selbst nicht glauben zu können, dass es so ist. An manchen Stellen, schimmert unter dem klugen, anteilnehmenden Erzähler der dicke Bjørnstad Junge der 60ger Jahre durch, der sich danach sehnte irgendwo hinzugehören und befürchtete, seinen Platz inder Welt nicht zu finden. Das Ganze ist mit reichlich Humor gewürzt und ein schöner Rückblick auf eine bewegte Zeit.

    Die Welt die meine war - Die neunziger Jahre
    Autor: Ketil Bjørnstad
    Übersetzer:innen: Andreas Brunstermann, Gabriele Haefs, Kerstin Reimers, Nils Hinnerk Schulz
    Osburg Verlag
    ISBN: 9783955103545
    Preis: 28,00 €
  • Roman

    Osterende von Ulli Flessel

    Es beginnt in Marienwerder, im Juni 1939, also kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges. Karl und Hiltrud Rebuscheid leben mit ihren fünf Kindern ein zurückgezogenes Leben, neigt doch ihre ältere Tochter zu epileptischen Anfällen und ist in Gefahr zwangssterilisiert zu werden. Die Familie ist sich sehr eng, obwohl sich bereits leichte Risse durch die unterschiedlichen Einstellungen zur Politik der Nazis und den Kriegsahnungen zeigen. Karl Rebuscheit, der Vater hat den ersten Weltkrieg und dessen Verheerungen noch erlebt und ist verhalten, der älteste Sohn Walter hingegen begeistert. Zu allem sorgt noch der mittlere Sohn Freddy für Aufregung, weil er und seine Kusine Frizi sich ineinander verliebt haben. Was den Eltern wegen der nahen Verwandschaft nicht gefällt.

    An der Niederelbe lebt die Familie Gerckens auf ihrem kleinen Hof, in der Nähe von Osterende. Das ist der Ort, an dem die beiden Familien nach dem Krieg aufeinandertreffen. Dort kommt es 1951 zur Hochzeit von Freddy und Hella Gehrckens. Auf dem Polterabend kochen die Gemüter hoch und es zeigt sich deutlich, dass das braune Gesankengut nicht mit dem Kriegsende verschwunden ist.

    Ulli Flessel erzählt nicht nur die Geschichte zweier Familien, sondern wirft einen Blick auf die unterschiedlichsten Bewohner der Orte und schafft so ein Kaleidoskop von Eindrücken der Zeit und vor allem davon, was Krieg bedeutet und welche Auswirkungen der Faschismus bis in den privatesten Bereich hat.

    Das Buch hat etwas von einer kleinen Zeitreise, so lebendig und vielschichtig ist das Leben der Personen geschildert. Es ist eines der Bücher, denen ich Unmengen Lesende wünsche und darum wäre es schön, wenn es auf vielen Plattformen sichtbar wäre. Bei allem Verständnis zu wünschen, dass die Leute nicht beim großen A kaufen, so gibt es auch noch Geniallokal, dort kann man bei seinem lokalen Buchhändler bestellen und entscheiden, ob man sich das Buch liefern lässt oder ob man es im bevorzugten Geschäft abholt.

    Osterende
    Autor: Ulli Flessel
    Duckdalben Verlag
    ISBN: 978-3-947351-13-8
    Preis: 16,00 €
  • Biogragisch/Autobiografisch,  Roman

    Letzte Reise nach Paris von Michael Zeller

    Es ist Frühling 1906, Paris, eine kleine Pension im Quartier Latin. Der angehende Dramatiker Anderland, brütet über seinen Notizen. Ein Stück über Marat, seinen Helden der französischen Revolution, will er schreiben, als Geräusche im Nebenzimmer darauf schließen lassen, dass er einen neuen Nachbarn bekommt. Es stellt sich heraus, dass es sich um eine Dame handelt, die Malerin Paula Moderson-Becker, die sich allerdings nun nur Becker nennt, da sie dabei ist sich von ihrem Mann, den Maler Otto Moderson zu trennen. Er beginnt Paula regelmäßig zu besuchen und wie es kommen muss, verliebt er sich in sie. Die Angebetete hat allerdings nur ein freundschaftliches Interesse an Anderland. Denn sie ist nach Paris gekommen um zu malen und um frei von jeglicher Bindung zu sein.

    Anderland ist ein romantischer Schwärmer und da Paula Becker ihn nicht erhört, ist er sicher, es muss einen anderen geben. Da ist zum Beispiel dieser Rainer Maria Rilke, den Anderland regelrecht hasst und dann ein Mäzen, ein Herr Hötger, der Paulas Malerei fördert. Anderland ist überzeugt, dass es da doch ein Techtelmechtel geben muss. Er leidet also, aber nicht nur aus Liebe, sondern weil er bereits ahnt, dass sein Talent zum Dramatiker nicht wirklich reichen wird.

    Im Nachwort erzählt Michael Zeller, wie er auf den Stoff gekommen, denn diesen Anderland hat es gegeben und die 30 Seiten, in der er über seine Begegnung mit Paula Moderson-Becker berichtet, wurden zur Grundlage für „Letzte Reise nach Paris“. Michael Zeller lässt seine beiden Hauptfiguren in ihren Ateliergesprächen die wichtigen Themen angehen, Kunst, Freiheit, Tod und Mutterschaft und das macht er brilliant und so lebendig, dass man das Gefühl hat dem Gespräch der Beiden zu lauschen und nicht nur davon zu lesen.

    Eine absolute Leseempfehlung!

    Letzte Reise nach Paris
    Autor: Michael Zeller
    Verlag: Rote Katze Verlag, Lübeck
    ISBN: 978-3-910563-19-3
    Preis: 20,00 €
  • Fantastisch,  Roman

    The Hollow Places von T. Kingfisher

    Kara ist Mitte 30, frisch geschieden und ziemlich pleite. Bevor sie wieder zu ihrer Mutter ziehen muss, bietet ihr Onkel Earl ihr an, in das Gotteslob-Museum für Naturwunder, Kuriositäten und Tierpräparate zu ziehen, das er leitet. So macht sich Kara, genannt Karrotte, nach Hog Chapel, North Carolina, auf. Es ist ein kleiner Ort, neben dem Museum gibt es ein Café in dem der Barrista Simon arbeitet, mit dem Kara sich anfreundet. Kara beginnt Listen der Exponate zu erstellen und übernimmt die Leitung, als ihr Onkel ins Krankenhaus muss. Dann eines Tages entdeckt sie in einem der Gänge ein Loch in der Wand und von dort geht es in eine andere Welt. Neugierig machen sie und Simon sich auf und finden sich in einer Inselwelt wieder, wo Weiden wachsen und nur einige Betonbunker relativen Schutz bieten. Denn diese Welt ist in ständiger Veränderung. Schnell begreifen sie, dass es dort keine Sicherheit gibt und das die Zweige und die Macht der Weiden in mehr als eine Welt reichen..

    T. Kingfisher wurde zu diesem Buch durch die Novelle „Willows“ von Algernon Blackwood inspiriert. Es ist eine interessante Welt, in die die Autorin die Lesenden mitnimmt, aber auch der Startpunkt der Geschichte, das Kuriositäten Museum ist ein ungewöhnlicher Ort, der seine eigene Magie hat. Ebenso wie ihre Charaktere, wobei sich Magie nicht auf die Fähigkeit zu zaubern bezieht. Das ist ja das besonders an dieser Fantasy Geschichte, der Durchgang in die andere Welt ist ein Phänomen und das Böse scheint einfach präsent und ohne Plan.

    Es ist das erste Buch von T. Kingfisher, das ich gelesen habe und anfangs war ich ein wenig enttäuscht, denn im ersten Teil flaut der Spannungsbogen immer mal ab und die Charaktere scheinen sehr stereotyp. Zum Glück nimmt die Geschichte dann deutlich Fahrt auf und auch Kara und Simon erhalten mehr Tiefe.

    The Hollow Places - Kara und die rätselhafte Welt hinter den Dingen
    Autorin: T. Kingfisher
    Übersetzerin: Sonia Bonné
    Eichborn Verlag
    ISBN: 9783847901648
    Preis: 18,00 €
  • Roman

    Transit Lissabon von Sabine Scholl

    Sabine Scholl lässt ihre Geschichte um die drei Freunde Ava, Billy und Conrad in Paris beginnen und erzählt in Rückblenden, wie sie dorthin kamen. Conrad, der Übersetzer und Ava, die Schauspielerin stammen aus Wien, Billy, der Schriftsteller aus Berlin. Allle drei sind jüdischer Abstammung und haben ihre Heimat in Richtung Frankreich verlassen, in der Hoffnung dort sicher vor den Nazis zu sein. Doch Frankreich kapituliert, die Flucht geht weiter und trennt die Drei, doch in Lissabon treffen sie wieder aufeinander. Der einzige Ort an dem man hoffen kann, ein Visum und eine Schiffspassage irgendwo hin zu ergattern. Was jedoch von Tag zu Tag immer schwieriger wird. Lissabon ist überfüllt von Flüchtlingen und alle wollen nur eines, raus aus Europa! Es ist die Zeit der Salazar Diktatur und auch wenn Portugal sich nicht offen zu Hitlerdeutschland bekennt, so gibt es doch Verbindungen. Die drei Freunde nun gehen sehr unterschiedlich mit dem Leben im Limbo um. Conrad engagiert sich als Fluchthelfer und in einer Hilfsorganisation, Ava, die finanziell recht gut gestellt ist, leidet unter Langeweile und den restrikten Moralvorstellungen der Portugiesen und Billy, lässt sich durch die Stadt treiben, kommentiert zynisch das Leben in Lissabon und sieht nirgends eine Zukunft für sich.

    Sabine Scholl findet genau den richtigen Ton um ihre Charaktere plastisch werden zu lassen und gleichzeitig, das weniger werden mit jeder Fluchtstation zu beschreiben. Den Verlust der Sprache, der gefühlten Sicherheit, die Entwurzelung und die Hilflosigkeit, dem, was mit den Freund:innen und Verwandten in Nazi-Deutschland geschieht, nichts entgegensetzen zu können, ist auf jeder Seite spürbar.

    Transit Lissabon
    Autorin: Sabine Scholl
    Verlag: Weissbooks
    ISBN: 9783863372156
    Preis: 26,00 €

  • Roman

    Schneezauber über Stockholm von Camilla Davidsson

    Es geht auf Weihnachten und wer macht es sich in der Zeit nicht gerne mit Tee, Gebäck und einem romantischen Schmöcker gemütlich? Wenn das Ganze auch noch interessante Wendungen hat, in einer schönen Stadt spielt, man den Glögg förmlich riecht und die Lichter blinken, ist die Welt doch in Ordnung.

    In Ordnung ist sie allerdings für die Protagonistin dieser Geschichte anfangs so gar nicht. Alice ist nach der Trennung von ihrem langjährigen Freund in eine Depression versunken. Nicht nur ihn ist sie losgeworden, sondern auch ihren Job. Nun ist es kurz vor Weihnachten, sie hockt in ihrer Wohnung und das Geld wird knapp. Da schickt Freundin Wilma ihr Samuel, einen Krimiautor, der sich nun in Sachen Feelgood Roman versuchen will, und einen Coach braucht. Alice greift zu und wird aus ihrer Höhle gelockt. Samuel und sie kommen sich näher, da ist aber auch noch Elias, ein sehr attraktiver Schauspieler, der sich für Alice interessiert. Doch nicht nur das Interesse am anderen Geschlecht wird bei unserer Heldin geweckt, nein sie entdeckt auch die Weihnachtsfreude wieder.

    Ein Schmöcker so richtig fürs Herz und Gemüt.

    Schneezauber über Stockholm
    Autorin: Camilla Davidsson
    Übersetzerin aus dem Schwedischen: Gabriele Haefs
    Verlag: Fischer
    ISBN: 9783596709182
    Preis: 13,00 €

  • Roman,  Uncategorized

    Schwäbisches Capriccio von Anšlavs Eglītis

    Anšlavs Eglītis Episodenroman Schwäbisches Capriccio hat deutlich autobiografische Züge. Allerdings ist der Autor im Gegensatz zu seinem Alterego Pēteris Drusts kein Junggeselle, sondern traf mit seiner Frau, der Kunstmalerin Veronika Janelsina, gegen Kriegsende auf der Alb ein. Taiflingen, das heute ein Stadtteil von Albstadt ist, wurde zu seinem fiktiven Pfifferlingen.

    Es ist 1945, kurz vor Kriegsende, als Pēteris Drusts auf der Schwäbischen Alb landet. Eigentlich wollte er direkt in die Schweiz und von dort denn weiter. Doch nachdem er zuerst aus Riga vor der Roten Armee geflohen ist und später in Berlin ausgebombt wurde, landet er in dem gar nicht ganz so kleinen, beschaulichen Pfifferlingen und bleibt dort hängen. Er, der weltgewandte Großstädter, ist erstaunt, wie unberührt vom Krieg das Städtchen wirkt, in dem soviele Einwohner Bitzer heißen und in dem sich so wenig ändert. Vier Jahre verbringt Pēteris Drusts in Pfifferlingen und beobachtet die Schwaben und erkennt dabei: Ratschläge erhalten mögen die Schwaben nicht, allerdings geben sie gerne welche!

    Eine Arbeit aufnehmen will Pēteris Drusts nicht, einmal weil er die Kriegswirtschaft nicht unterstützen will und zum anderen, will er ja auch gar nicht bleiben. Mehr aus einer Laune heraus besorgt er sich ein Zimmer und Lebensmittelkarten und versucht den Tag herumzubekommen ohne das seine Arbeitslosigkeit entdeckt wird. Denn in Pfifferlingen geht der erwachsene Mann morgens zur Arbeit, kommt zum Mittagessen heim und arbeitet dann bis zum Feierabend weiter. Dabei hat er Zeit seine Mitmenschen zu beobachten und sich zu wundern. Manchmal erinnern seine humorvollen Beobachtungen fast an Schilda. Da ist zum Beispiel die Sparsamkeit. Einem gewissen Hanno zum Beispiel brennt das Haus ab, weil er sich nicht für eine Löschmethode entscheiden kann. Schließlich weiß man nie, ob es nicht eine kostengünstigere Variante gäbe. Dann ist da der Bürgermeister, ein besonnener Mann, der immer einen Weg findet, die Befehle der Nazi-Regierung zu befolgen, aber eben nicht ganz. Er handelt besonnen und im Interesse seiner Stadt. Grund zum Wundern geben auch der Gleichtakt des Alltags und die frugalen Mahlzeiten, die einem bei Einladungen serviert werden.

    Schwäbisches Capriccio
    Autor: Anšlavs Eglītis
    Aus dem Lettischen und mit einem Nachwort von Berthold Forssman
    Verlag: Guggolz
    ISBN 978-3-945370-47-6
    Preis: 25,00 €

  • Ökologie,  Roman,  Science Fiction

    Phytopia Plus von Zara Zerbe

    Zara Zerbes Debütroman spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft. Der Klimawandel hat das seine bewirkt, Überschwemmungen, extreme Hitze, leere Supermärkte. Die Armen wohnen im südlichen Teil der Stadt, dem Brackland der Elbe, die Reichen im Norden in abgeriegelten, bewachten Wohnanlagen mit Biosupermarkt und Wachpersonal. Der Traum von einem Weiterleben nach dem physischen Tod ist nach wie vor vorhanden; und laut der Drosera AG gibt es die Möglichkeit, sein Bewusstsein via Chip in einer Pflanze zu speichern. Aylin ist Aushilfsgärtnerin in der Firma und pflegt diese Pflanzen. Privat handelt sie mit selbstgezogenen Pflanzen, um sich einigermaßen gesunde Nahrung leisten zu können. Als eine der Speicherpflanzen beginnt eine besonders schöne Blattzeichnung zu zeigen, nimmt sie Ableger davon mit nach Hause. Erwartungsgemäß finden Pflanzen mit dieser Maserung reißenden Absatz, doch Aylins Zweifel und Ängste wachsen, denn letztendlich ist es eine kriminelle Handlung Pflanzen aus den Gewächshäusern der Drosera AG mitzunehmen. Doch Aylin braucht Geld. Sie wünscht sich die 350 000 € zusammen zu bekommen, um das Bewusstsein ihres Großvaters mit einer Pflanze verschmelzen zu lassen.

    Wenn man Zara Zerbe in Aylins Leben folgt, macht sich ein leichtes Unwohlsein breit. Denn die sozialen Verwerfungen und die Umweltschäden, sind schon heute spürbar, wenn auch nicht so deutlich, wie in Phytopia Plus. Ein sehr heutiges Buch von einer Autor:in, die begriffen hat, das zeigen sehr viel eindringlicher ist, als beschreiben. So schwelgt sie nicht in Katastrophenbeschreibungen, sondern zeigt, wie die Menschen mit den Folgen leben müssen.

    Zara Zerbe hat für Phytopia Plus den Phantastik Preis der Wetzlar erhalten. Völlig zu Recht, wie ich finde.

    Phytopia Plus
    Autorin: Zara Zerbe
    Verlag: Verbrecher Verlag
    ISBN: 978-3-95732-581-5
    Preis: 25,00 €
  • Roman,  Science Fiction

    Lieferdienst von Tom Hillenbrand

    Der Lieferdienst der Zukunft! Keine langen Umwege mehr, um die Ware zum Auslieferer zu transportieren. Die Firmen schicken die Matrix an die Lieferdienste, die drucken per 3D-Drucker aus und ihre Auslieferer schwingen sich aufs Hoover Board, allerdings erst nachdem sie sich überzeugt haben, dass sie ihren Visierhelm aufhaben und bewaffenet sind. Denn es herrscht ein harter Konkurrenzkampf. Arkadi ist einer dieser Auslieferer, er kennt sich aus, weiß wie er die Konkurrenz austricksen kann und hat die Firmenreligion inklusive Rangsystem verinnerlicht. Zum Anfang der Geschichte hinterfragt er nicht allzuviel. Warum auch? Die angebliche Überproduktion kann ja kein Problem sein, heißt es doch, dass alles was nicht ausgeliefert werden konnte, wieder in seine Atome zerlegt wird. Doch eines Tages, verläuft Arkadis eigentlich normaler Arbeitstag ein wenig anders. Seine Welt gerät ins Wanken und sein Leben in Gefahr.

    Dick ist das Buch mit seinen 189 Seiten wahrlich nicht, aber gemessen an dem was es enthält schon. Tom Hillenbrand versteht es meisterlich auch auf wenigen Seiten eine komplexe Geschichte mit vielen Untertönen zu erzählen. Allerdings muss ich gestehen, dass ich es mir an einigen Stellen etwas ausführlicher gewünscht hätte. Wahrscheinlich bin ich von Hologrammatica und Qube verwöhnt, Bücher von Hillenbrand in denen ich einige Tage schwelgen konnte, während ich Lieferdienst in einem Rutsch durchgelesen habe.

    Lieferdienst
    Autor: Tom Hillenbrand
    Verlag: Kiepenheuer & Witsch
    ISBN: 9783462006216
    Preis: 20,00 €

  • Roman

    Blue Sisters von Coco Mellors

    Avery: Anwältin, lebt in London, verheiratet mit der perfekten Frau, lebt in dem perfekten Haus und hat doch das Gefühl, dass ihr Leben alles andere als perfekt ist.

    Bonny: Boxerin, nach einem diaströsen Kampf flieht sie nach Kalifornieren und arbeitet als Türsteherin.

    Lucky: lebt in Paris und dauernd unterwegs. Modell und Partymaus der Extraklasse, ist gerade dabei ihre Karriere und sich selbst gegen die Wand zu fahren.

    Nicky: Lehrerin und tot!

    An Nickys ersten Todestag erhalten die Schwestern eine E-Mail ihrer Mutter, in der sie mitteilt, dass sie die New Yorker Familienwohnung verkaufen wird. Wenn die Schwestern sich Andenken von der verstorbenen Schwester sichern wollen, sollen sie dies tun, bevor die Wohnung geräumt wird. Seit Nickys Tod ist das Leben, der eng miteinander verbundenen Schwestern aus der Bahn geraten. Avery, die oft genug Mutterstelle an ihren Schwestern vertreten hat, sieht sich vom Kinderwunsch ihrer Frau überfordert und ist nicht in der Lage zu kommunizieren, dass sie kein Kind will. Das Thema, dass sich durchs Buch zieht ist Sucht. Während Avery durch das Klauen kompensiert, ist Lucky dabei sich langsam aber sicher ins Grab zu saufen und zu koksen. Selbst Bonnie, die weder klaut, noch trinkt, noch Drogen nimmt, hat ihre Sucht. Sie flüchtet sich in den Sport. Auch Nicky, die „normalste“ der Drei, die Lehrerin, mit der Endometriose war süchtig, in dem Fall nach Schmerzmittel und ist an einer Überdosis gestorben. Die Suchtgeschichte der Familie geht weiter zurück, der Vater ist Alkoholiker, die Mutter Co-abhängig.

    Doch es ist nicht nur ein Buch über Süchte. Es ist eine Geschichte von Verbundenheit. Denn trotz aller Diskrepanzen sind die Schwestern sich nahe, auch wenn sie nach Nickys Tod ein wenig auseinandergedriftet sind, ist das Band doch stark genug, wieder zueinander zu finden.

    Es dauerte einige Seiten, bis mich das Buch gepackt hatte. Dann aber so total, dass ich es am liebsten in einem Rutsch durchgelesen hätte. Die zarten Fäden, die der Geschichte Struktur geben sind fein gesponnen und es dauert ein wenig bis man merkt, wie komplex diese scheinbar leicht erzählte Geschichte der vier Schwestern ist.

    Das Buch erscheint am 30. August 2024

    Blue Sisters
    Autorin: Coco Mellors
    Übersetzerin: Lisa Kögeböhn
    Verlag: Eichborn
    ISBN: 978-3-8479-0186-0
    Preis: 24,00 €