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Benoni von Knut Hamsun
Benoni Hartvigsen ist zu Beginn der Geschichte Postbote und somit ein angesehenes Mitglied der kleinen Gemeinde um den Handelsposten Sirilund. Leider kann er den Mund über eine Begegnung mit einer gewissen Dame nicht halten und wird seines Postens enthoben. Doch er kommt wieder auf die Beine, unter anderem durch den Kaufmann Mack, der über Schiffe, den Laden und den Geldverleih im Ort herrscht und sich gerne einmal von den Hausmädchen den Rücken (und nicht nur den) schrubben lässt. Mack fördert die Beziehung zwischen Benoni und Rosa, seinem Patenkind und die Beiden verloben sich miteinander. Doch während Benoni zu Fischaufkauf auf den Lofoten ist, taucht deren erste Liebe Nicolai auf und der arme Benoni ist der Angeschmierte … fürs erste jedenfalls.
Knut Hamsun hat seine Geschichte in der Nähe von Bergen angesiedelt. Sein Benoni ist ein wenig naiv, aber nicht dumm. Eine gewisse Bauernschläue zeichnet ihn aus. Das zeigt sich besonders dann, wenn Mack ihn irgendwie über den Tisch ziehen will, da kann sich das Angebot noch so gut anhören, doch wenn Benonis Gefühl „nein“ sagt, sagt er nein.
Über die Geschichte Benonis erzählt Hamsun von dem Wunsch in der Gesellschaft aufzusteigen, anerkannt zu werden. Geld ist hier weniger ein Faktor zum Erwerb von Luxusgütern, sondern dazu Ansehen zu verleihen. Der zu sein, der mit Hartvigsen und „Ihr“ gegrüßt wird. Diesen Aufstieg Benonis zum Kompangnon Macks erzählt Hamsun mit Humor und einem ironischen Blick auf das menschliche Miteinander. Wenn es um das Theme Ehe geht, könnte man allerdings zu dem Schluss kommen, dass der Autor diesem Konzept nicht sehr wohlwollend gegenüber stand.
Im Nachwort erzählt die Übersetzerin Gabriele Haefs von Knut Hamsuns umstrittenen Rufes bezüglich seiner Nazisympathien im eigenen Lande. Auch das ist sehr lesenswert, zeigt es doch, dass es zwischen Schwarz und Weiß noch eine Menge Schattierungen gibt.
Benoni Autor: Knut Hamsun Übersetzerin: Gabriele Haefs Nachwort: Gabriele Haefs Verlag: Kröner EAN: 9783520626011 Preis: 24,00 €
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Der Keim von Tarjei Vesaas
Ein heißer Sommertag, die Heuernte ist eingebracht, es ist ein Werktag und doch haben die Leute auf der kleinen Insel frei. Zwei Knechte sitzen in der Sonne und trinken Bier, Paare treffen sich, ein Mädchen sammelt Pflanzen, die Insel ist grün und strotz vor Fruchtbarkeit und über allem thront die riesige rotgestrichene Scheune der Familie Li, die einen Obstgarten betreibt. So ein Tag ist es, an dem ein Fremder auf die Insel kommt, ohne Gepäck und mit dem Ansinnen zu bleiben. Er kennt niemanden dort, doch die Stimmen in seinem Kopf haben ihn hierher geführt. Andreas Fest heißt er und hat die Explosion einer Fabrik in der Stadt nur knapp überlebt. Als Inga, die Tochter der Familie Li ihm begegnet, erschlägt er sie auf Anraten der Stimmen. Als es bekannt wird, wird ihr Bruder Rolv von Wut übermant und macht Jagd auf den Mörder, seine Wut, sein Wille den Mörder seiner Schwester zur Strecke zu bringen, greift auf die Bewohner der Insel über, so dass ein Mob, eigentlich friedliebender Menschen sich mitreißen lässt und so mit schuldigt wird, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen.
Tarjei Vesaas schreibt der Art anschaulich, dass der Leser sich bereits nach dem ersten Abschnitt auf der Insel befindet und sich des nahen Unheils in der Sommeridylle bewusst ist. Er lässt was geschieht durch verschiedene Stimmen erzählen. Vieles bleibt unausgesprochen und ist gerade dadurch, dass er es nicht klar benennt, präsent. Vesaas hat „Der Keim“ 1940 geschrieben, als Norwegen unter Deutscher Besatzung war und natürlich drängen sich die Themen Mitläufer, Schuld, Reue, Aufarbeitung auf. Aber auf einer tieferen Ebene auch, wie reagiert der Mensch in Ausnahmesituationen? Wie schnell greift der Wahnsinn über? Wie sehr hat jeder die Veranlagung zum Täter in sich?
Der Keim Autor: Tarjei Vesaas Übersetzer: Hinrich Schmidt-Henkel Nachwort: Michael Kumpfmüller Verlag: Guggolz ISBN 978-3-945370-39-1 Preis: 24,00 €
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Schlaflos von Camilla Grebe
Samuel ist 18 und hat so seine Probleme, das kleinere ist, dass er von seiner Mutter und ihrer christlichen Gemeinde genervt ist. Das größere, dass er sich mit einem Drogendealer eingelassen hat und nach einem schiefgelaufenen Deal auf der Flucht ist. In seiner Verzweifelung irgendwo unterkommen zu müssen, nimmt er einen Job bei Rakkel an, die Hilfe bei der Pflege ihres im Koma liegenden Sohnes braucht. Er merkt ziemlich schnell, dass so einiges nicht stimmt, in dem einsamen Haus an der Klippe.
Der Kommisar Manfred hingegeben hat es mit seltsamen Leichenfunden zu tun und mit einer persönlichen Katastrophe. Junge Männer werden angeschwemmt, denen nach dem Tod schwere Verletzungen beigebracht wurden, während sich eine Todesursache nicht feststellen lässt.
Camilla Grebe schreibt nie nur einfach einen Psychothriller, sie verknüpft eine spannende Kriminalgeschichte mit gesellschaftlichen Problemen. In diesem Fall geht es um die Socialen Medien und welche Auswirkungen sie auf die Gesellschaft haben. Sie ist eine der Autor:innen, denen es gelingt vielschichtig und doch ausgewogen zu erzählen. Ihre Charaktere sind glaubhaft und sie verfällt an keiner Stelle in einfaches Schwarz-Weiß-Denken. Sehr empfehlenwert!
Schlaflos Autorin: Camilla Grebe Übersetzerin aus dem Schwedischen: Gabriele Haefs Verlag: btb ISBN978-3-442-71926-6 Preis: 17,00 €
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Brockesstraße Beletage von Anette L. Dressler
Lübeck 1947, der Krieg ist seit zwei Jahren vorbei, aber immer noch herrscht Nahrungsmittel- und Wohnungsknappheit. So kommt die Kriegerwitwe Frieda Markuweit via Einquatierung zu Alma Curtz in die Brockesstraße. Letzere hat vor dem Krieg mit ihrem Mann einen Kurzwarenladen betrieben und ist nun, als Witwe, wenig begeistert, zwangsweise eine Mitbewohnerin zu bekommen. Doch mit der Zeit lernen die beiden sehr unterschiedlichen Frauen sich schätzen.
Anette L. Dressler fängt die Stimmung im Nachkriegs Lübeck zwischen Kriegstrauma und Aufbauhoffnung sehr gut ein und ist historisch sicher. Es entsteht ein plastisches Bild der Stadt und der Menschen zu dieser Zeit. Die Autorin, lässt nicht nur die beiden Protagonistinnen, auf die sie abwechselnd den Blick richtet, lebendig werden, sondern nutzt auch die Nebenfiguren, wie etwa Almas Freundin Leni, um bildhaft zu machen, wie es gehen kann, wenn nicht der geliebte Ehemann aus der Gefangenschaft zurückkehrt, sondern ein durch das Erlebte zum Fremden gewordener vor der Tür steht.
Ein manchen Stellen hätte ich dem Buch einen wärmeren Erzählstil gewünscht, zum Beispiel dann, wenn die Autorin erklären will, welche sprachlichen Unterschiede es zwischen Ostpreußen und Schleswig-Holstein bestehen oder bei einigen historischen Erklärungen, die an einigen Stellen sehr gewollt in den Text einfließen.
Brockesstraße Beletage Autorin: Anette L. Dressler Verlag: STROUX edition ISBN: 978-3-948 065298 Preis: 24,00 €
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Engeltreiber von Ditha Brickwell
Der junge Leo und die Perlenfädlerin Genoveva, die sich dem Rentenalter nähert, sind ein seltsames Paar. Während Genoveva ihre Perlen auffädelt, erzählen sie sich Geschichten aus ihrem Leben. Leo, der bei einer Freundin seiner Mutter in Obhut war, die ihn mit nach Paris genommen hat, von seiner Zeit in der Pariser Künstlerszene der 60ger Jahre. Algerienkrieg, Studentenaufstände, sind im Gange und Leo wird munter von einer Unterkunft in die nächste gereicht. Schließlich landet er wieder in Wien und bei Genoveva, die wiederum von ihrer Kindheit auf Lande, der schweren Arbeit und wie sie dem Leben dort entkommen konnte, um im Wien nach dem ersten Weltkrieg, schließlich in einem Kaffeehaus unterzukommen. Sie berichtet von der Nazi-Zeit, vom 2. Weltkrieg und von der Flucht mit einem kleinem Kind aufs Land und zurück in die Stadt. Leo erfährt also eine besondere Art von Geschichtsuntericht.
Ditha Brickwells vielschichtige Lebenserzählungen dieser beiden ungleichen Personen, spannt einen breiten Bogen der geschichtlichen Geschehnisse und sie erzählt von Krisen, Ungerechtigkeit und Krieg, von verlassenen Kindern und deren Einsamkeit. Die Perspektivwechsel zeigen die Vergangenheit wie in einem Kaleidoskop. Allerdings muss ich gestehen, dass ich an manchen Stellen dachte, ein wenig kürzer wäre auch nicht verkehrt gewesen.
Engeltreiber Autorin: Ditha Brickwell Verlag: Drava ISBN: 978-3-99138-018-4 Preis: 26,90
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Apoll Besobrasow von Boris Poplawski
Der Autor nimmt uns hier mit in die Welt, in der gelebt und geschrieben hat. Es ist das Paris der russischen Emigranten, die vor und nach der Oktoberrevoltion geflohen sind. Es ist Ende der Zwanziger Jahre, als Wassenka, Apoll Besobrasow begegnet und sie ein Stück des Weges gemeinsam gehen, eine Freundschaft im eigentlichen oder sexuellen Sinne ist es nicht, denn jeder ist seiner Welt versunken. Wassenka, der Gefühlvolle und Apoll, der Mystiker, der sich im Grunde um nichts und niemand schert. Auf einem Ball lernen sie Terese kennen, in die Wassenka sich unglücklich verliebt. Diese drei bilden den Kern einer Gruppe von Heimatlosen, die eigentlich nicht die Heimat Russland vermissen, sondern eher in sich selbst keine Heimat finden. Zeus, ein ehemaliger Ringer, ist der Praktische, der sich um die Grundbedürfnisse kümmert und er ist der einzige, der sich dem Alltagsleben stellt.
Die Geschichte liest sich, wie ein surrealer Traum, in dem man von einem Taumel greller Farben und Begebenheiten, in den Abgrund des Verfalls der verlassenen Häuser gerissen wird, in denen den diese temporäre Schicksalsgemeinschaft unterkommt. Der Autor war Lyriker und Surrealist und in diesem Stil schreibt er auch seine Prosa. Wenn Poplawski etwa eine Ballszene in einem Montparnasser Künstleratelier beschreibt, denn hat man nicht über diesen Ball gelesen, sondern man war in diesem verrückten Trubel.
Apoll Besobrasow Autor: Boris Poplawski Übersetzerin: Olga Radetzkaja Verlag: Guggolz ISBN: 978-3--945370-19-3 Preis: 24,00 €