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Winnetou – Karl May in kritischen Zeiten – Klaus Farin & Gabriele Haefs (Herausg.)
Wie kommt es, dass auf einmal ein – zumindestens in Deutschland, positiv konnotierter Begriff – wie Indianer zum „no go“ wurde? Wie kommt es, dass einer der meistgelesenen deutschen Autoren, Karl May (1842 – 1912), auf einmal skeptisch beäugt wird? Wer bestimmt so etwas und noch interessanter, wieso machen so viele unhinterfragt mit?
Ich kenne nahezu niemanden meiner Generation, der oder die, nicht noch heute einen sehnsüchtigen Blick bekommt, wenn sie sich an ihre Leseabenteuer mit Winnetou und Konsorten erinnern. Trotz des sehnsüchtigen Blickes, kommt aber meistens auch: Aber kann man das heute noch so Lesen? Ach ja, und Indianer sollte man vielleicht auch nicht mehr sagen, oder? Meine Antwort: Ja, man kann und man soll! Unbedingt! Denn sie sind von Toleranz und Vielfalt gerpägt! Sicher ist so einiges nicht mehr zeitgemäß, dass ist Shakespeare auch nicht.
In diesem Buch, welches auch noch sehr wunderbar illustriert ist, gehen Andreas Brenne, Christian Feest, Gunnar Sperveslage und Johannes Zeilinger der Sache auf dem Grund, in dem sie das Werk Karl Mays, wie es im Klappentext so schön heißt „unter der Perspektive von kultureller Aneignung, Auswanderung und europäischem Kolonialismus“ unter die Lupe nehmen. Dazu gibt es noch ein Vorwort von Klaus Farin und ein Nachwort von Gabriele Haefs.
Alle diese Texte sind ausgesprochen lesenswert, regen zum Nachdenken an und zeigen den Facettenreichtum eines sehr besonderen Autoren.
Winnetou - Karl May in kritischen Zeiten
Herausg. Klaus Farin & Gabriele Haefs
Verlag: Hirnkost
ISBN: 9783988570451
Preis: 26,00 -
Ursula und das V-Team – Das Schicksal muss warten von C. K. McDonnell und Elaine Ofori
Grundlage der Geschichte ist die Legende um die Heilige Ursula, die mit 11 Jungfrauen im 4. Jahrhundert auf Pilgerfahrt ging, und wieder zurück eine von den Hunnen belagerte Stadt fand. Seit dem nun taucht alle acht Jahre über Köln eine Geisterarmee der Hunnen auf und eine aktuelle Ursula und ein Team aus 11 weiteren Jungfrauen muss sich ihnen stellen. Verlieren sie die Schlachte, wird die Geisterarmee für eine Nacht Köln schleifen. Doch wer ist nun die aktuelle Ursula? Der scharlachrote Rat bringt alle acht Jahre zehn Mädchen, woher sie kommen weiß niemand so genau, zusammen. Sie trinken aus dem Kelch der Hebe und vergessen ihre Herkunft, im Austausch dafür erhalten sie gewisse magische Kräfte. Eine wird zur Ursula ernannt, die aktuelle, weil sie eine Muttermal in der Form eines U hat. Sie wird die Anführerin. Die nächsten acht Jahre werden die Mädchen in Kampfsport und in den Gebrauch ihrer magischen Kräfte geschult, bis die Nacht der Vergeltung da ist. Dann stellen sie sich dem Geisterheer. Normalerweise sollen sie danach erneut aus dem Kelch trinken, die Kräfte verlieren und sich an ihre Herkunft erinnern. Soweit der Plan. Doch was, wenn man zur Vergeltungsschlacht eine Jungfrau zu wenig zur Verfügung hat? Gut, die lässt sich finden und plötzlich erlebt Fremdenführer Adam mehr, als er sich jemals hat träumen lassen. Das erste Problem wäre also gelöst, doch was ist, wenn die Schlacht plötzlich abbricht und die Lehrerin, die am Rand des Feldes warten sollte, verschwunden ist? Vor allem was ist aus den zuvor verschwundenen Jungfrauen geworden? Ursula und ihr V-Team wollen sich nicht einfach außer Dienst stellen lassen und entdecken so einige Mogeleien des Scharlachroten Rates, eine Magierin, die ihr eigenes Süppchen kocht und das es mehr magische Vorgänge in der Stadt gibt, als gedacht. Dann ist da noch ein Nekromant vom Hofe Attilas, der sich nun mit Adam einen Körper teilt und auf Eiscreme steht. Was man ihm nicht verdenken kann.
Ursula und das V-Team ist der Auftakt zu einer Serie und das Autorinnendebüt von Elaine Ofori, welches sie gemeinsam mit ihrem Ehemann C. K. McDonnell geschrieben hat. Und das V-Team lässt es von Anfang an richtig krachen. Wer nun meint, es hier mit einer typischen Schlacht gut gegen böse zu tun zu haben, wird enttäuscht. Das Team Ofori/McDonnell zeigt, dass man ein oft behandeltes Thema neu, spannend, lustig und interessant angehen kann. Ich jedenfalls freue mich bereits auf das nächste Buch der Serie.
Ursula und das V-Team - Das Schicksal muss warten
Autoren: C. K. McDonnell & Elaine Ofori
Übersetzer: André Mumot
Verlag: Eichborn
ISBN: 9783847902102
Preis: 18,00 € -
In den Wellen – Geschichten vom Schwimmen – Herausg. Annemarie Stoltenberg und Gabriele Haefs
Annemarie Stoltenberg und Gabriele Haefs sind ein bewährtes Team im Herausgeben von Anthologien. Auch diesen Sommer gibt es eine neue Sammlung, und zwar eine erfrischende. Es geht ins Wasser, zum Schwimmen, Baden, Plantschen. Schiller, Goethe, Tschechow, Heinrich Heine, sie alle waren vom Wasser und vom Schwimmen, auf die unterschiedlichste Weise fasziniert. Während Goethe sich gerne mal nackig machte und auch nächtens in die Fluten stieg, hielt Schiller es mehr mit der Dramatik des Elements und statt selbst zu tauchen, schrieb er sein Gedicht Der Taucher.
Doch in dieser Sammlung finden sich nicht nur Klassiker. Auch vertreten sind praktische Hinweise, Robert Kraft schreibt darüber, wie der Schwimmunterricht bei der Kaiserlichen Marine vonstatten ging, und gibt Einblicke in die tiefsitzende Angst so einiger vor dem nassen Element.
Kim Småge hingegen zeigt, dass die Ehe zwischen einer Schwimmverweigerin und eines Schwimmenthusiasten nicht auf dem Glückssprungbrett geschlossen wurde. Auch Ingvar Ambjørnsens Elling gibt sich die Ehre und nimmt die Lesenden mit in die Robinsonfantasien seiner Kindheit.
Es ist ein bunter Reigen, mit erläuternden Texten der Herausgeberinnen und mit Illustrationen von Aya Hoshina versehen, die sofort zum Eintauchen in Fluss und Meer einladen.In den Wellen - Geschichten vom Schwimmen
Herausg. Annemarie Stoltenberg und Gabriele Haefs
Verlag: Philip Reclam jun.
ISBN: 9783150115350
Preis: 24,00 € -
Broilerkomplott von Anna Mai
Toni Hansen, Leonie und Arman, sind Veganer:innen und Aktivist:innen. Ein besonderer Dorn im Auge ist ihnen der Schererkonzern mit seinen Hähnchen. Die geplante Aktion, die Chefin des Konzerns mit roter Farbe zu beschmeißen, wenn diese ein Bankgebäude verlässt, geht gründlich schief. Sie haben zwar einen Wagen, Gockelmasken und Farbbeutel, doch während sie auf die Dame warten, beobachtet Toni, wie der Chauffeur der Hähnchen-Chefin ermordet und im Kofferraum deponiert wird. Noch mehr verwundert ist sie, als Frau Scherer in die Tiefgarage kommt, sich nach ihrem Chauffeur umsieht, einen Zettel findet, in den Kofferraum guckt, den Deckel wieder zuklappt, ins Auto steigt und losfährt. Die drei Aktivist:innen sind sich einig, da steckt eine noch größere Schweinerei dahinter, als einfach Hühner in großen Mengen zu massakrieren und sie gehen der Sache nach. Sie vermuten, dass es etwas mit dem Sonnenhof Projekt des Schererkonzerns zu tun hat. In einem Dorf, im Berliner Umland, will der Konzern eine große Hähnchenzuchtanlage errichten und stößt dabei nicht nur auf Freude bei der Bevölkerung.
In besagten Ort wird eine Polizistin auf einen vermuteten Mord aufmerksam und beginnt zu ermitteln. Nicht nur ihr, sondern auch den drei Mordzeug:innen wird schnell klar, dass es hier nicht nur um Hühner und einen verschwundenen Lastwagen geht.
Broilerkomplott ist das Krimidebüt von Anna Mai. Das Thema ist aktuell und der Ausgang der Geschichte spannend, doch hat alles Weitere bei mir nicht richtig gezündet, was zum Teil an den, meiner Meinung nach, überzeichneten Charakteren lag und eben auch daran, dass Spannungsbögen sehr schnell abflachen.Broilerkomplott
Autorin: Anna Mai
Verlag: Ariadne
ISBN: 9783867542807
Preis 15,00 € -
Hinter dem Schrank steht die Axt von Torborg Needreaas
Vor kurzem habe ich ein sehr besonderes Buch besprochen: Nichts wächst im Mondschein von Torborg Needreaas. Von der Sprachgewalt, der Schonungslosigkeit und der Wortgewalt der Autorin, von der ich noch nie gehört hatte, war ich so begeistert, dass ich mich fragte, ob es nicht noch mehr von ihr gäbe. Es gab. Beim Persona Verlag wurde ich fündig. Hinter dem Schrank die Axt ist eine Novellensammlung. Diese spielen während der Besatzungszeit in Norwegen.
Sie handeln vom bedrückenden Alltag unter einer Besatzungsmacht, von Zusammenhalt, Misstrauen und Ausgrenzung. Sie erzählen von Armut, vom Wunsch nach Aufbegehren und nach ein wenig Farbe im Grau. Doch für diese Farbe gilt es einen Preis zu zahlen und das gilt besonders für Frauen, die sich mit den Besatzern einlassen.
Da ist die Schusterwerkstatt, in der sich der gesamte Ort am Abend trifft, um dem Schuster bei einer Schachpartie zu zu sehen. Er ist der ewige Gewinner, bis ein deutscher Soldat gegen ihn antrifft und ihn zu besiegen droht. Auf dem Schachbrett in der Werkstatt spiegelt sich, was im Außen geschieht. Unter aller Not und Verzweiflung köchelt die Wut und so dann und wann brodelt der Wunsch nach Rache hoch, wie etwa in der titelgebenden Geschichte, in der ein Vater sich Rache für seinen von den Deutschen hingerichteten Sohn wünscht. Die Gelegenheit ergibt sich, als er einem betrunkenen deutschen Soldaten trifft, der Hilfe braucht. Doch ob er diese bekommt oder in der Stube des trauernden Vaters den Tod findet, wird sich zeigen, denn …Hinter dem Schrank steht die Axt
Autorin: Torborg Needreaas
Übersetzerin: Marie-Theres Mächler
Nachwort: Marie-Theres Mächler
Verlag: Persona
ISBN: 3-924652-15-5
Preis: 15,00 €Fazit: Unbedingte Leseempfehlung
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Entscheidung auf Hiddensee von Christof Kessler
Sommer 1913. Gottfried Benn arbeitet tagsüber in der Pathologie und abends stürzt er sich mit seiner Geliebten Else Lasker-Schüler ins Berliner Nachtleben. Zwischendrin dichtet er. Sein erster Gedichtband „Morgue“ ist bereits erschienen und hat ihm Anerkennung gebracht. Doch das Leben, dass er führt, inklusive der exzentrischen Else Lasker-Schüler fordert seinen Preis und so gönnt er sich eine Auszeit. Drei Wochen Hiddensee, in denen er entscheiden will, wie es weitergehen soll. Weiter mit ihm als Arzt, als Dichter und wie mit Else. Er schwankt zwischen Überdruss und Verlangen, denn die Dame ist nicht nur eine geniale Dichterin, sie ist auch anstrengend.
Benn macht sich also auf nach Hiddensee. Der kleinen Ostseeinsel, auf der sich zu der Zeit die Prominenz tummelt. Oskar und Max Kruse, Gerhard Hauptmann, dessen Sohn Ivo und die Schauspielerin Edith Osterloh, in die er sich verliebt. Doch er schwankt, soll er zurück zu Else, die seine Gedichte versteht, sein Talent fördert oder soll es doch mit Edith sein, die bürgerlichere der beiden Frauen, die Benns Gedichte nicht mag und sehr klar macht, dass für sie ein bloßes Techtelmechtel nicht in Frage kommt. Eine schwere Entscheidung, die es zu treffen galt, vor allem, weil Benn eigentlich nie so richtig weiß, was er will. Das alles unter der Sommersonne Hiddensees und der launigen Gesellschaft in seiner Pension, über der sich bereits der erste Schatten des aufziehenden 1. Weltkrieges und eines verstärkten Antisemitismus zeigt.Der biografische Roman Christof Kessler, ist ein sehr besonderes Leseerlebnis. Die Charaktere sind anschaulich, die Sonne Hiddensees spürbar und Benns Zweifel, Melancholie und gleichzeitige Stärke im Ausdruck, spürbar. Die biografischen Einschübe sind mit leichter Hand in die Handlung eingeflochten und stören den Lesefluss nicht im Geringsten.
Fazit: Unbedingte Leseempfehlung, am besten gleich noch mal die Gedichte von Benn und Lasker-Schüler herausholen und nebenbei lesen.Entscheidung auf Hiddensee
Roman um Gottfried Benn und Else Lasker-Schüler
Autor: Christof Kessler
Verlag: Rote Katze, Lübeck
ISBN: 9783910563308
Preis: 22,00 € -
Blumenlust von Claudia Schmid
Edelgard Buchmann ist wieder unterwegs. Sie tauchte ja bereits in so einigen der Kriminalromane von Claudia Schmid auf. Zuletzt in Blumenfieber, wo sie zur Bundesgartenschau 2023, im Mannheimer Luisenpark, den „Bücherhimmel“ managte und natürlich prompt in einen Mordfall gerät. Der Bücherhimmel wurde Andenkenshop bis er zum 50sten Bestehen des Luisenparks wieder Bücherhimmel wird und natürlich sollte sich auch diesmal Edelgard um das Geschäft kümmern. Und natürlich wird es auch kriminell. Wie ihr Mann Norbert zu seinem Leidwesen feststellt, stolpert seine Holde nun mal dauernd über Leichen.
Diesmal sind es Jogger, durchtrainierte junge Männer, die erschlagen aufgefunden werden. Vom Täter keine Spur. Da eines der Opfer mit Edelgard kurz vor seinem Tod gesprochen hat, kommt eine ungeliebte alte Bekannte vorbei, Melanie Härter, die Ermittlerin, die Edelgard vor zwei Jahren der Entführung verdächtigte. Edelgard wird neugieriger und neugieriger. Dann ist da noch ein attraktiver Herr, der sie zum Essen einlädt. Eine Journalistin, die den Auftrag, über das Jubiläum zu berichten, mit einem Klassentreffen verbindet, Florian, der sich für die Reinkarnation König Ludwigs II hält, die Kräuterhexe Chloe und die Influenzerin Fay Zoe, ganz zu schweigen von den Bekannten Edelagrds aus dem Vorgängerbuch. Wo mit wir bei der Schwäche des Buches wären. Es ist von allem ein wenig zu viel und so wird mancher Faden nur lose verknüpft. Doch das ist nur ein Punkt, der vielleicht auch nur so pingelige Lesende wie mich stört. Ansonsten nämlich, liest es sich sehr fein, enthält viele Wissenswertes und Anekdotenreiches über den Park, die Stadt und die Region. Jedenfalls bin ich schon gespannt, wo wir Edelgard das nächste Mal treffen.
Blumenlust
Autorin: Claudia Schmid
Verlag: Gmeiner
ISBN: 9783839203309
Preis: 18,00 € -
Das fünfte Kind von Doris Lessing
Es beginnt Mitte der 60er Jahre in London. Partystimmung, buntes Leben, sexuelle Freizügigkeit und mittendrin begegnen sich David und Harriet, die mit all dem nichts anfangen können. Sie wünschen sich ein richtiges Familienleben, ein großes Haus und so viele Kinder, wie die Natur ihnen schenken möchte. Das stößt nicht nur auf Begeisterung in ihren Familien, denn die Eltern der beiden sind finanziell und arbeitstechnisch gefordert. Die andere Seite ist, dass alle Kritiker und Kritikerinnen sich gerne zu den Festtagen sehen lassen und auch die Ferien gerne dort verbringen, wo man das perfekte Familienleben zelebrieren kann.
Nach vier Kindern und den entsprechenden anstrengenden Schwangerschaften ist Harriet erschöpft und will nun wirklich erst einmal eine Pause, daher bricht nicht die übliche Begeisterung aus, als sie feststellt, dass sie wieder schwanger ist. Diesmal ist es richtig schlimm, denn das Kind in ihrem Bauch scheint gegen sie zu kämpfen, als es endlich zur Welt kommt, ist es zu groß, es hat nichts liebenswertes, gleicht eher, da sind sich alle einig, einem Troll und es ist schwer zu bändigen von Anfang an. Harriet ist der Meinung, dass sich Gene aus grauer Vorzeit in Ben hervorgemendelt haben und das man ein Kind wie dieses, in dieser Zeit ausgestoßen hatte. David meint, sie übertreibt, Ärzte und Erzieher tun es mit hyperaktiv ab. Doch Harriet, die Kinder und auch David haben Angst vor Ben. Je älter und gewalttätiger er wird, um so mehr driftet die Familie auseinander und der Traum von der Großfamilie zerbricht.
Ich habe das Buch bereits vor einigen Jahren gelesen und war sehr froh, dass der Wagenbach Verlag es neu aufgelegt hat. Auch beim neuen Lesen hat es mich wieder gepackt, in seiner Vielschichtigkeit.Das fünfte Kind
'WAT Wagenbachs andere Taschenbücher'.
kartoniert , 187 Seiten
ISBN 3803128773
EAN 9783803128775
Veröffentlicht März 2025
Verlag/Hersteller Wagenbach Klaus GmbH
Übersetzt von Eva Schönfeld -
Ein Raum zum Schreiben
Nachdem sie Anfang zwanzig zwei Romane veröffentlicht hat, wird es still um Kristin Valla. Ehe, Mutterschaft und ein fester Job als Redakteuerin lassen ihr nicht genug Zeit und Kraft zum Schreiben. Anfang vierzig entschließt sie sich ihre feste Stelle aufzugeben und wieder zur Schriftstellerin zu werden. Das gestaltet sich gar nicht so einfach und sie erkennt einigermaßen schnell, dass Virginia Woolf mit ihrem Essay Ein eigenes Zimmer, durchaus Recht hatte . Hierin vertritt die Autorin die These, dass eine Frau, die Schreiben will, ein eigenes Zimmer und eigenes Geld braucht. Für Kristin Valla wird es nicht nur ein eigenes Zimmer, sondern ein eigenes Haus. In einem Dorf in Südfrankreich findet sie ein Haus für sich. Allerdings eines das ziemlich heruntergekommen ist und viel Geld und Aufmerksamkeit braucht, um zu dem erträumten Rückzugsort zu werden. Während der Renovierung, die sich über fünf Jahre hinzieht, macht sie sich auf die Reise zu Schriftstellerinnen und deren Verhältnis zu Häusern und welchen Einfluss diese auf ihr Schreiben hatten. Sigrid Undset, Toni Morrison, Daphne duMaurier, Vita Sackville-West, Virginia Woolf, Halldis Morten-Vesaas und Regine Normann etwa, um nur einige zu nennen, sie alle hatten eine Verbindung zu dem Raum, in dem sie schrieben, und dieser war oft hart erkämpft.
Kristin Valla hat eindeutig den Weg zur Schriftstellerin zurückgefunden. Schon mit Das Haus über den Fjord, hat sie 2022 einen wunderbaren Roman vorgelegt. Auch hier geht es um ein Haus und welche Erinnerungen es trägt. Ein Raum zum Schreiben ist ein Sachbuch, dass sich stellenweise wie ein Roman liest. Die Geschichte der Autorin und ihrem Haus verwebt sich leicht mit ihren Entdeckungen, wie andere Schriftstellerinnen es mit dem eigenen Raum, oder mit dem nicht vorhanden eines solchen.
Fazit: Ein feines Buch, nicht nur für solche die Schreiben wollen. Es lädt ein über Räume und ihren Einfluss auf unser Leben nachzudenken.
Ein Raum zum Schreiben
Autorin: Kristin Valla
Übersetzerin: Gabriele Haefs
Verlag: Mare
ISBN: 9783866487376
Preis: 25,00 € -
Nichts wächst im Mondschein von Torborg Nedreaas
Ein Mann geht spät am Abend spazieren, sucht Gesellschaft, sucht Nähe und findet eine Frau, die mit einem roten Koffer am Bahnhof steht. Sie geht mit ihm und stellt ihn vor die Wahl: Für die Nacht kann er ihren Körper haben oder ihre Seele. Er entscheidet sich für Letzteres und sie beginnt ihm ihre Geschichte zu erzählen.
Aufgewachsen ist sie im Norden als Tochter eines Bergmanns, die Familie ist arm und doch will der Vater die Frau auf die Realschule schicken. Sie ist 18 als sie sich in Johannes, ihren Lehrer verliebt. Johannes geht gerne mit ihr in die Wälder, fährt auch mit ihr für einige Tage weg, doch er kann und will sie nicht heiraten. Johannes braucht eine reiche Frau, kein Armeleutekind. Die Frau entwickelt eine regelrechte Besessenheit, zieht in die Stadt, um ihm nahezusein, aber nicht nur deswegen, auch weil sie den Anblick ihrer abgearbeiten Mutter, das Leid ihrer unverheiratet schwangeren Schwester und das größte Vergnügen der Bergmannssiedlung, boshaften Klatsch, nicht mehr erträgt.
Das Verhältnis mit Johannes bleibt ambivalent und hat auch Folgen, die seinerseits mit einem Geldschein und ihrerseits mit einem Gang zu einem Arzt, der Mitleid hat, aus der Welt geschafft werden. Bis Johannes schließlich die Apothekertochter heiratet.
Die Frau hat im Ort, wo sie äußerst misstrauisch beäugt wird, nur einen Freund. Den Organisten der Kirche. Einen gescheiterten Pianisten, der schließlich Selbstmord begeht.
Der Roman ist 1947 erschienen und erzählt schonungslos vom Leben der Armen, besonders dem der Frauen, von der Bigotterie der besseren Gesellschaft und was soziale Ausgrenzung bedeutet. Torborg Neddreaas erzählt schonungslos von Abtreibungen unter unsäglichen Bedingungen, von Ausbeutung, Alkoholismus und von der Angst endgültig unterzugehen. Ihre Erzählerin schwankt zwischen Lakonie und Verzweiflung, ihr Zuhörer bleibt meistens stumm, doch schwer erschüttert.Fazit: Ein forderndes, grandioses Buch.
Nichts wächst im Mondschein
Autorin: Torborg Nedreaas
Übersetzerin aus dem Norwegischen: Gabriele Haefs
Verlag: Luchterhand
ISBN: 9783630878034
Preis: 22,00 €