• Roman,  Uncategorized

    Schwäbisches Capriccio von Anšlavs Eglītis

    Anšlavs Eglītis Episodenroman Schwäbisches Capriccio hat deutlich autobiografische Züge. Allerdings ist der Autor im Gegensatz zu seinem Alterego Pēteris Drusts kein Junggeselle, sondern traf mit seiner Frau, der Kunstmalerin Veronika Janelsina, gegen Kriegsende auf der Alb ein. Taiflingen, das heute ein Stadtteil von Albstadt ist, wurde zu seinem fiktiven Pfifferlingen.

    Es ist 1945, kurz vor Kriegsende, als Pēteris Drusts auf der Schwäbischen Alb landet. Eigentlich wollte er direkt in die Schweiz und von dort denn weiter. Doch nachdem er zuerst aus Riga vor der Roten Armee geflohen ist und später in Berlin ausgebombt wurde, landet er in dem gar nicht ganz so kleinen, beschaulichen Pfifferlingen und bleibt dort hängen. Er, der weltgewandte Großstädter, ist erstaunt, wie unberührt vom Krieg das Städtchen wirkt, in dem soviele Einwohner Bitzer heißen und in dem sich so wenig ändert. Vier Jahre verbringt Pēteris Drusts in Pfifferlingen und beobachtet die Schwaben und erkennt dabei: Ratschläge erhalten mögen die Schwaben nicht, allerdings geben sie gerne welche!

    Eine Arbeit aufnehmen will Pēteris Drusts nicht, einmal weil er die Kriegswirtschaft nicht unterstützen will und zum anderen, will er ja auch gar nicht bleiben. Mehr aus einer Laune heraus besorgt er sich ein Zimmer und Lebensmittelkarten und versucht den Tag herumzubekommen ohne das seine Arbeitslosigkeit entdeckt wird. Denn in Pfifferlingen geht der erwachsene Mann morgens zur Arbeit, kommt zum Mittagessen heim und arbeitet dann bis zum Feierabend weiter. Dabei hat er Zeit seine Mitmenschen zu beobachten und sich zu wundern. Manchmal erinnern seine humorvollen Beobachtungen fast an Schilda. Da ist zum Beispiel die Sparsamkeit. Einem gewissen Hanno zum Beispiel brennt das Haus ab, weil er sich nicht für eine Löschmethode entscheiden kann. Schließlich weiß man nie, ob es nicht eine kostengünstigere Variante gäbe. Dann ist da der Bürgermeister, ein besonnener Mann, der immer einen Weg findet, die Befehle der Nazi-Regierung zu befolgen, aber eben nicht ganz. Er handelt besonnen und im Interesse seiner Stadt. Grund zum Wundern geben auch der Gleichtakt des Alltags und die frugalen Mahlzeiten, die einem bei Einladungen serviert werden.

    Schwäbisches Capriccio
    Autor: Anšlavs Eglītis
    Aus dem Lettischen und mit einem Nachwort von Berthold Forssman
    Verlag: Guggolz
    ISBN 978-3-945370-47-6
    Preis: 25,00 €

  • Ökologie,  Roman,  Science Fiction

    Phytopia Plus von Zara Zerbe

    Zara Zerbes Debütroman spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft. Der Klimawandel hat das seine bewirkt, Überschwemmungen, extreme Hitze, leere Supermärkte. Die Armen wohnen im südlichen Teil der Stadt, dem Brackland der Elbe, die Reichen im Norden in abgeriegelten, bewachten Wohnanlagen mit Biosupermarkt und Wachpersonal. Der Traum von einem Weiterleben nach dem physischen Tod ist nach wie vor vorhanden; und laut der Drosera AG gibt es die Möglichkeit, sein Bewusstsein via Chip in einer Pflanze zu speichern. Aylin ist Aushilfsgärtnerin in der Firma und pflegt diese Pflanzen. Privat handelt sie mit selbstgezogenen Pflanzen, um sich einigermaßen gesunde Nahrung leisten zu können. Als eine der Speicherpflanzen beginnt eine besonders schöne Blattzeichnung zu zeigen, nimmt sie Ableger davon mit nach Hause. Erwartungsgemäß finden Pflanzen mit dieser Maserung reißenden Absatz, doch Aylins Zweifel und Ängste wachsen, denn letztendlich ist es eine kriminelle Handlung Pflanzen aus den Gewächshäusern der Drosera AG mitzunehmen. Doch Aylin braucht Geld. Sie wünscht sich die 350 000 € zusammen zu bekommen, um das Bewusstsein ihres Großvaters mit einer Pflanze verschmelzen zu lassen.

    Wenn man Zara Zerbe in Aylins Leben folgt, macht sich ein leichtes Unwohlsein breit. Denn die sozialen Verwerfungen und die Umweltschäden, sind schon heute spürbar, wenn auch nicht so deutlich, wie in Phytopia Plus. Ein sehr heutiges Buch von einer Autor:in, die begriffen hat, das zeigen sehr viel eindringlicher ist, als beschreiben. So schwelgt sie nicht in Katastrophenbeschreibungen, sondern zeigt, wie die Menschen mit den Folgen leben müssen.

    Zara Zerbe hat für Phytopia Plus den Phantastik Preis der Wetzlar erhalten. Völlig zu Recht, wie ich finde.

    Phytopia Plus
    Autorin: Zara Zerbe
    Verlag: Verbrecher Verlag
    ISBN: 978-3-95732-581-5
    Preis: 25,00 €
  • Krimi

    Die Schnellimbissdetektivin von Liza Cody

    Hannah Abrahms ist Ex-Polizistin. Ex, weil sie ihren Sergant in einen Kanal geschubst hat. Seitdem versucht sie sich als Privatdetektivin mit kleinen Fällen, wie verschwundenen Hunden, streunenden Ehemänner und aus Kleingärten verschwundenem Gemüse, zu etablieren. Über Wasser hält sie sich, mit ihrer Arbeit in der Sandwich Shak, einem Imbiss in Südlondon, einen Job den sie hasst. An einer Stelle meint sie, dass sie mit Digby, dem Besitzer, die ehrlichste Beziehung hat, da sie sich beiden verabscheuen. So kündigt sie oder er sie mit schöner Regelmäßigkeit. Da der Zeitpunkt der Geschichte zu Covidzeiten ist, kommt das noch erschwerend hinzu.

    Hannah hat eine katastrophal gescheiterte Beziehung hinter sich, ist pleite, lebt bei einem lesbisch, militant veganen Paar zur Untermieter, die sie eigentlich nicht im Haus wollen und wo sie eigentlich nicht sein will. Sie hängt dazwischen und wütend. Hannah ist einerseits taff und arbeitet hart, so ist sie dankbar für jeden Fall und tut ihr Bestes. Bei all ihrer Rotzigkeit wünscht sie sich derartig geliebt und akzeptiert, schlicht gesehen zu werden, dass sie sich schon mal in der Beurteilung ihrer Mitmenschen vertut. So in Carl, der nette 80zig-jährige, der ihr einen einfachen Auftrag erteilt, aber leider vergessen hat so einiges zu erwähnen, was ihr eine Stalkerin beschert. Oder Mark, der Charmbolzen, mit dem sich eine Geschäftsbesprechung wie ein Date anfühlt, der aber anscheinend die eine oder andere Leiche im Keller hat.

    Liza Codys Krimis sind nie simple „Who dunnit’s?“. Ihre Protagonistinnen sind keine Superfrauen. In Lady Bag wird eine Obdachlose zur Detektivin und hier eine junge Frau, die in der Metropolitian Police Opfer von struktureller sexueller Gewalt wurde, die ihr auch im täglichen Leben immer wieder begegnet. Hannah, die sich tough und unberührbar gibt, ist sich sehr bewusst, wie dünn ihre Sicherheitsdecke ist. Es herrscht eine Wirtschaftskrise und die Schere zwischen arm und reich klafft im Post-Brexit London jeden Tag weiter auseinander. Auf der einen Seite ist da das Straßenkind BZee, das von Hannah und einigen Kleingärtnern durchgefüttert wird und auf der anderen Seite ihre Vermieterinnen, die ihren Veganismus zur Religion machen und auf die herabsehen, die sich das nicht leisten können.

    Fazit: Unbedingt Lesenswert!

    Die Schnellimbissdetektivin
    Autorin: Liza Cody
    Übersetzerin: Iris Konopik
    Verlag: Ariadne
    ISBN: 978-3-86754-275-3
    Preis: 18,00 €
  • Roman,  Science Fiction

    Lieferdienst von Tom Hillenbrand

    Der Lieferdienst der Zukunft! Keine langen Umwege mehr, um die Ware zum Auslieferer zu transportieren. Die Firmen schicken die Matrix an die Lieferdienste, die drucken per 3D-Drucker aus und ihre Auslieferer schwingen sich aufs Hoover Board, allerdings erst nachdem sie sich überzeugt haben, dass sie ihren Visierhelm aufhaben und bewaffenet sind. Denn es herrscht ein harter Konkurrenzkampf. Arkadi ist einer dieser Auslieferer, er kennt sich aus, weiß wie er die Konkurrenz austricksen kann und hat die Firmenreligion inklusive Rangsystem verinnerlicht. Zum Anfang der Geschichte hinterfragt er nicht allzuviel. Warum auch? Die angebliche Überproduktion kann ja kein Problem sein, heißt es doch, dass alles was nicht ausgeliefert werden konnte, wieder in seine Atome zerlegt wird. Doch eines Tages, verläuft Arkadis eigentlich normaler Arbeitstag ein wenig anders. Seine Welt gerät ins Wanken und sein Leben in Gefahr.

    Dick ist das Buch mit seinen 189 Seiten wahrlich nicht, aber gemessen an dem was es enthält schon. Tom Hillenbrand versteht es meisterlich auch auf wenigen Seiten eine komplexe Geschichte mit vielen Untertönen zu erzählen. Allerdings muss ich gestehen, dass ich es mir an einigen Stellen etwas ausführlicher gewünscht hätte. Wahrscheinlich bin ich von Hologrammatica und Qube verwöhnt, Bücher von Hillenbrand in denen ich einige Tage schwelgen konnte, während ich Lieferdienst in einem Rutsch durchgelesen habe.

    Lieferdienst
    Autor: Tom Hillenbrand
    Verlag: Kiepenheuer & Witsch
    ISBN: 9783462006216
    Preis: 20,00 €

  • Roman

    Blue Sisters von Coco Mellors

    Avery: Anwältin, lebt in London, verheiratet mit der perfekten Frau, lebt in dem perfekten Haus und hat doch das Gefühl, dass ihr Leben alles andere als perfekt ist.

    Bonny: Boxerin, nach einem diaströsen Kampf flieht sie nach Kalifornieren und arbeitet als Türsteherin.

    Lucky: lebt in Paris und dauernd unterwegs. Modell und Partymaus der Extraklasse, ist gerade dabei ihre Karriere und sich selbst gegen die Wand zu fahren.

    Nicky: Lehrerin und tot!

    An Nickys ersten Todestag erhalten die Schwestern eine E-Mail ihrer Mutter, in der sie mitteilt, dass sie die New Yorker Familienwohnung verkaufen wird. Wenn die Schwestern sich Andenken von der verstorbenen Schwester sichern wollen, sollen sie dies tun, bevor die Wohnung geräumt wird. Seit Nickys Tod ist das Leben, der eng miteinander verbundenen Schwestern aus der Bahn geraten. Avery, die oft genug Mutterstelle an ihren Schwestern vertreten hat, sieht sich vom Kinderwunsch ihrer Frau überfordert und ist nicht in der Lage zu kommunizieren, dass sie kein Kind will. Das Thema, dass sich durchs Buch zieht ist Sucht. Während Avery durch das Klauen kompensiert, ist Lucky dabei sich langsam aber sicher ins Grab zu saufen und zu koksen. Selbst Bonnie, die weder klaut, noch trinkt, noch Drogen nimmt, hat ihre Sucht. Sie flüchtet sich in den Sport. Auch Nicky, die „normalste“ der Drei, die Lehrerin, mit der Endometriose war süchtig, in dem Fall nach Schmerzmittel und ist an einer Überdosis gestorben. Die Suchtgeschichte der Familie geht weiter zurück, der Vater ist Alkoholiker, die Mutter Co-abhängig.

    Doch es ist nicht nur ein Buch über Süchte. Es ist eine Geschichte von Verbundenheit. Denn trotz aller Diskrepanzen sind die Schwestern sich nahe, auch wenn sie nach Nickys Tod ein wenig auseinandergedriftet sind, ist das Band doch stark genug, wieder zueinander zu finden.

    Es dauerte einige Seiten, bis mich das Buch gepackt hatte. Dann aber so total, dass ich es am liebsten in einem Rutsch durchgelesen hätte. Die zarten Fäden, die der Geschichte Struktur geben sind fein gesponnen und es dauert ein wenig bis man merkt, wie komplex diese scheinbar leicht erzählte Geschichte der vier Schwestern ist.

    Das Buch erscheint am 30. August 2024

    Blue Sisters
    Autorin: Coco Mellors
    Übersetzerin: Lisa Kögeböhn
    Verlag: Eichborn
    ISBN: 978-3-8479-0186-0
    Preis: 24,00 €