• Erzählung,  Finnland

    Das Mädchen auf der Himmelsbrücke von Eeva-Liisa Manner

    Leena ist neun, fühlt sich alleine und missverstanden. Sie wächst bei ihrer Großmutter auf, die in der Trauer um ihre verlorenen Kinder versinkt. Sicher weiß Leena, dass die Oma sie liebt … irgendwie, aber auch, dass sie dieses träumerische Kind so gar nicht versteht. Die Schule mit ihrer strengen Disziplin ist für das Mädchen die reinste Folter und oft genug geht sie nicht hin oder freut sich über Krankheiten, die ihr eine entsprechende Entschuldigung liefern. Sie streift durch eine Art Traumstadt, die kaum bevölkert ist und fragt sich, ob das Leben nicht nur ein Traum ist, ob sie wirklich wirklich ist. Sie verzweifelt nahezu daran, dass niemand sie ernst genug nimmt, um sich mit ihren Fragen auseinander zusetzen, bis sie eines Tages in eine Kirche kommt und die Fuge von Bach hört. Die Musik wird für sie ein Erlösungserlebnis.

    Die Autorin Eeva-Liisa Manner (1921 – 1995) greift in diesem schmalen Büchlein auf die Erlebnisse ihrer karelischen Kindheit zurück, wo sie nach dem Tod der Mutter, bei ihren Großeltern aufwuchs. Es ist eine sehr berührende Geschichte und die Gedankenbilder der Protagonistin so eindringlich und dabei sprachlich so leicht und lyrisch.

    Ein besonderes Lob gilt hier dem Übersetzer Maximilian Murmann. Wenn man beim Lesen ist vergisst, dass es sich um eine Übersetzung handelt, wie es bei „Das Mädchen auf der Himmelsbrücke“ der Fall ist, ist das Werk wahrlich gelungen.

    Das Mädchen auf der Himmelsbrücke 
    Autorin: Eeva-Liisa Manner
    Übersetzer aus dem Finnischen: Maximilian Murmann
    Nachwort von Antje Rávik Strubel
    Verlag: Guggolz
    ISBN: 978-3-945370-36-0
    Preis: 22,00 €
  • Anthologie,  Norwegen

    Kein Fjord so tief wie mein Herz – Liebesgeschichten aus Norwegen – Hersg. Dörte Giebel

    Es gibt soviele Arten von Liebe und doch ist sie universell. 14 Geschichten finden sich in dieser Anthologie und jede wirft einen individuellen Blick auf dieses Thema, das uns alle bewegt. Unter anderem erinnert sich in Majken van Bruggens „Fotoalbum“ eine alte Frau an ihre Jugendliebe, die ihr so lebendig und frisch erscheint, während ihre nähere Vergangenheit und Gegenwart in der Demenz verschwinden. Aber auch die Eigenliebe ist ein Thema, zum Beispiel in Ellisiv Lindkvist „Inga Lykke und Hans Jor“ Thema. Es sind vierzehn Geschichten, die jede ihren eigenen Blick auf die Liebe und auf das Leben haben. Das schöne ist, dass es eben auch die dunklen Seiten zeigt, etwa in Anlaug Sanderogs „Für immer Dein“, in der sich eine Frau in ihrer Sehnsucht nach Liebe, einem Vampir ergibt und sich aussaugen lässt … im übertragenen Sinne.

    Kurz gesagt: eine absolute Leseempfehlung!

    Kein Fjord so tief wie mein Herz
    Hersg: Dörte Giebel
    Übersetzerinnen: Dörte Giebel, Gabriele Haefs, Sophia Wulfert
    Verlag: BoD - Book on Demand, Norderstedt
    ISBN: 978-3-7568-4078-6
    Preis: 14,00 €
  • Audiobook

    Hörbücher und Stricken – The Dictionary of Lost Words von Pip Williams

    Zuerst konnte ich mich nicht wirklich mit Hörbüchern anfreunden, doch dann so nach gefiel es mir, beim Stricken ein Audio laufen zu haben. Besonders gerne höre auf englisch, auch lese ich vieles aus diesem Sprachraum im Original. Zur Zeit ist es „The Dictionary of Lost Words“ von Pip Williams, auf Deutsch: Die Sammlerin der verlorenen Wörter, übersetzt von Christiane Burkhardt und gelesen von Maximiliane Häcke.

    Mutterlos und unbändig neugierig verbringt Esme ihre Kindheit im Scriptorium, einem Gartenschuppen in Oxford, in dem ihr Vater und ein Team von Lexikographen das erste Oxford English Dictionary zusammenstellen. Esmes Platz ist unter dem Schreibtisch, ungesehen und ungehört. Heimlich liest sie die Zettel auf, die zu Boden flattern. Und sie erkennt, was die männlichen Gelehrten aussortieren: Wörter und Bedeutungen aus der Erfahrungswelt von Frauen. Als Esme ihre eigene Sammlung beginnt, keimt eine Entschlossenheit in ihr, die sie ihr ganzes Leben lang prägen wird…

    Klappentext „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“ von Pip Williams

    Heute kam neue Wolle und so kann ich mit dem neuen Hörbuch auch ein neues Paar Socken beginnen. Mal sehen, ob ich die Socken in den 11 Stunden und 11 Minuten, die das Hörbuch dauert, fertig bekomme. Ich glaube einer der Gründe, warum ich mich erst nicht mit Hörbüchern anfreunden konnte war, dass es anfangs nur gekürzte gab und dass die Kürzungen teils sehr zu Lasten der Handlung gingen. Dank digitaler Technik hat sich das verbessert. Ist ja nicht alles schlecht, was es so an Neuigkeiten gibt.

  • Krimi

    Pleasantville von Attica Locke

    Houston Texas 1996, eine Bürgermeisterwahl steht an und der frühere Polizeichef Axel Hathorne hat große Chancen der erste schwarze Bürgermeister zu werden … ausschlaggebend für seinen Wahlsieg sind die Stimmen von Pleasantville, einem Stadteil Houstons mit vorwiegend schwarzer Bevölkerung. Als Alicia Novell verschwindet, unter den gleichen Umständen, wie bereits zwei andere Mädchen einige Jahre zuvor, gerät Hathorne Wahlkampfmanager unter Verdacht. Der Anwalt Jay Porter übernimmt notgedrungen, dessen Verteidigung und entdeckt ein Komplott, das weit über den Bürgermeisterwahlkampf hinausgeht. Gerade ist Bill Clinton zum zweiten Mal ins weiße Haus gezogen und Texas macht sich bereit für den Wahlkampf in vier Jahren, um George W. Bush ins Weiße Haus zu bugsieren.

    Es gibt einen Mordfall und eine Ermittlung und doch ist Pleasantville kein Kriminalroman im klassischen Sinne. Es gibt politische Verwicklungen, Bestechungen und Korruption, alles dabei, und doch ist es kein klassischer Politthriller. Auch ist das Buch nicht als typischer Crime Noir zu bezeichnen.

    Nachdem ich nun aufgezählt habe, was das Buch alles nicht ist, komme ich zu dem was es ist, nämlich eines der spannensden, interessantesten Bücher die ich in diesem Jahr gelesen habe. Attica Locke versteht es menschliche Charaktere zu erschaffen, die leben. Sie polarisiert nicht. Vor allem hält sie denSpannungsbogen aufrecht, obwohl es viel um juristische Verfahrensweise geht.

    Pleasantville
    Autorin: Attica Locke
    Übersetzerin: Andrea Stumpf
    Polar Verlag
    ISBN:978-3-948392-56-7
    Preis: 26,00 €

  • Uncategorized

    Matrialermüdung von Dietrich Brüggemann

    Die Welt wird brüchig in Dietrich Brüggemanns Materialermüdung. Als Jakob und Maja von Jakobs Vater aus dessen Garten verbannt werden, merken sie noch nichts davon. Sie beschließen kurzer Hand ihren besten Freund Moses anzurufen und einen Kurzurlaub in Ueckermünde anzulegen. Dort wird ein Baum vom Blitz getroffen und der schleichende Prozess der Auflösung setzt. Alles ist betroffen, Fahrräder, Autos, Beziehungen, Knochen, bis die Welt schließlich in einem weißen Loch in Flammen vergeht. Doch erst einmal sie die drei, der hippen Kunstszene zugehörigen Freunde, damit beschäftigt, um sich selbst zu kreisen. Es werden Befindlichkeiten gepflegt, Moses erfährt Rufmord durch das Internet. Maya fragt sich, ob ihre Beziehung zu Jakob überhaupt das ist was sie will. Das Theaterkollektiv mit dem sie arbeitet, fragt sich mittlerweile, ob die Beziehung zu Maya überhaupt noch trägt. Das Internet und die schnelle Kommunikation, sowie akute Anfälle von übertriebener politischer Korrektheit der Woken Generation tun das ihre. Dietrich Brüggemann beschreibt keine Gesellschaft, die wirklich in der Lage ist mit einer wirklich großen Krise fertig zu werden.

    Materialermüdung ist eines der Bücher, die unter die Haut gehen, bei denen man oft lacht und bei denem einen oft das Lachen im Halse stecken bleibt, weil es trotz Überzeichnung sehr sehr nah an der Realität ist.

    Unbedingt lesen!

    Der Westendverlag hat den Autor Mathias Bröckers ein Gespräch mit Dietrich Brüggemann zu Materialermüdung führen lassen. Hier der Link.

    Materialermüdung
    Autor: Dietrich Brüggemann
    Westendverlag
    9-783949-671036
    Preis: 25,00 €
  • Biogragisch/Autobiografisch,  Roman

    Die göttlichen Kindchen von Tatjana Gromača

    https://www.genialokal.de/Produkt/Tatjana-Gromaca/Die-goettlichen-Kindchen_lid_49266027.html?storeID=zapata

    Tatjana Gromača nimmt ihre Leser:innen mit in die seditierte Stadt und zeigt anhand ihrer Familiengeschichte, welche Auswirkungen der Jugoslawienkrieg auf die Menschen hatte und hat. Denn diese Traumata sind nie vorbei. Sie schreibt nicht nur aus der Sicht der Tochter, sondern begibt sich in verschiedene Rollen. Mal ist sie Protokollantin, mal Gerichtsschreiberin, mal Dolmetscherin, die ihre Mutter in die Abseitsposition begleitet, als auf einmal Herkunft wieder zählte, diese zur Aussätzigen für ihre Nachbarn wurde – und der Vater mit ihr, da er nicht einsehen wollte – , dass es ab sofort galt alle die östlicher geboren waren zu hassen. Die Mutter entwickelt eine Art Schlafkrankheit und landet immer einmal wieder in der Psychiatrie. Nicht, wie Gromača schreibt, weil sie nicht normal ist, sondern weil sie zu normal ist, um den Wahnsinn der Welt zu ertragen.

    Durch den Rollenwechsel der Autorin zu Dolmetscherin, Gerichtsschreiberin und Protokollantin hat ihre Geschichte eine interessante Form abgenommen, die mal sehr nahe und persönlich ist, um sich dann wieder in eine distanzierte allgemeine Perspektive zu begeben. So entsteht aus den Fragementen ein eindrückliches Bild, einer durch Krieg traumatisierten, patriachalisch ausgerichteten Gesellschaft.

    Fazit: Unbedingte Leseempfehlung!

    Die göttlichen Kindchen
    Tatjana Gromača
    Übersetzer: Will Firth
    ISBN: 9 783948 065249
    Preis: 20,00 €
    Edition Stroux
  • Bücherschrank Fund,  Ökologie,  Roman

    Der Wal und das Ende der Welt von John Ironmonger

    Am bisher tiefsten Punkt seines Lebens stürmt Joe aus seinem Büro in der Londoner City, setzt sich ins Auto und fährt bis es schließlich nicht mehr weitergeht, ohne nasse Reifen zu bekommen. Er ist in dem kleinen Ort St. Pirans in Cornwell gelandet. Dort beschließt er, während er am Strand entlangläuft, schwimmen zu gehen und wäre beinahe ertrunken, hätte nicht die Druckwelle eines Finnwals ihn zurück an den Strand befördert. Wo die Dorfbewohner den nackten Joe am Morgen finden. Joe wird zum Arzt im Ruhestand des Dorfes gebracht und dort aufgepäppelt, er beschließt zu bleiben, da er unter anderen davon ausgeht, dass die Polizei ihn sucht, weil seine Analyse, der Investment Bank, für die er arbeitet gerade 30 Millionen miese eingefahren hat. Doch auch wenn Joe nun ein einfaches Leben als 308 Bewohner von St. Pirans leben will, so ist er doch Analytiker und als solcher sieht er eine gefährliche Grippewelle und eine Ölknappheit kommen und ergreift Maßnahmen … Soweit in Kürze.

    John Ironmongers Thema ist, können wir in einem Katastrophenfall das Beste oder das Schlechteste von den Menschen erwarten? Wie berechenbar ist menschliches Verhalten und wie abhängig sind wir von Elektrizitäts, globalen Lieferketten und so weiter? Wirklich empfehlenswert und zum Nachdenken anregend.

    Übersetzt wurde das Buch von: Tobias Schettler und Maria Poets

  • Roman

    Zweckfreie Kuchenanwendungen von Yeoh Jo-Ann

    Sukhin hat es als Soziophobiker in seinem Beruf als Lehrer und auch sonst nicht. Er möchte am liebsten in Ruhe gelassen werden, sein Leben leben, die Kartonsammlung seiner Eltern abstauben und lesen. Eigentlich hat er nur einen Freund, das aber nur, weil dieser sich einfach nicht vertreiben lässt.

    Eines Tages nun geht Sukhin in Chinatown für die die Fakultätsparty zum Chinesischen Neujahrsfest einkaufen und rennt, überfordert von den Menschen und dem Angebot, die Pappkartonwohnung einer Obdachlosen um und erkennt in ihr Jinn, mit der vor fast zehn Jahren eine Beziehung hatte. Eine zaghafte Annäherung beginnt und nach und nach schafft er es, das Jinn ihm ihre Geschichte erzählt und ihn an ihrem Leben, das trotz Obdachlosigkeit sehr erfüllt ist, teilhaben lässt.

    Schon der Titel des Buches ist einfach hinreißend und die Geschichte so wundervoll erzählt, dass man sich nach dem letzten Wort wünscht, man könnte noch ein wenig länger mit Sukhin und Jinn durch Singapore streifen. Yeoh Jo-Ann ist sicher eine Autorin, die man im Auge behalten sollte. Sehr gefallen hat mir auch, dass sie ein Gedicht von Cyril Wong in der Geschichte untergebracht hat.

    Übersetzerin: Gabriele Haefs

  • Crime noir,  Krimi

    Pickard County von Chris Harding Thornton

    Nebraska 1978, eine der Ecken des Bundesstaates, in dem die kleineren Höfe verlassen sind, es kaum Arbeit gibt, viele in Trailerparks leben und Ehefrauen schon mal mit dem Pick Up über ihre Ehemänner fahren oder sich erschießen. Das ist die Gegend, in der Chris Harding Thornten, ihren Erstling angesiedelt hat. Harley Jensen, der Hilfssheriff einer kleinen Stadt, verfolgt seine persönliche Nemesis, Paul Reddick. Paul ist einer von denen, die genau wissen, wie sie jemanden den letzten Nerv rauben, denen man aber auch nie richtig etwas anhaben kann. Pauls ältester Bruder wurde als Kind ermordet und seine Leiche nie gefunden, obwohl die ganze Gegend wieder und wieder durchkämmt wurde. Dieser Mord lastet auf den Menschen der Stadt. 20 Jahre nach Dell jun. Ermordung, bekommt Harley es mit einer Reihe von Brandstifungen zu tun. Kleidung von Verstorbenen wird auf alten Höfen verbrannt und natürlich gerät Paul in Verdacht.

    Um es gleich vorweg zu nehmen, es ist kein typischer Krimi, den Chris Harding Thornton da geschrieben hat, es ist sehr viel mehr. Eine Studie über das ländliche Nebraska, ein Millieu in dem die Autorin aufgewachsen ist. Neben der Spannung wer denn nun wirklich der Brandstifter ist, ob Dell jun. Leiche noch auftaucht und ob Pam, der Ehefrau von Rick, einem weiteren Bruder des Ermordeten, die Flucht aus ihrer Ehe und aus der Stadt heraus gelingt, sind es die Charaktere und die Erzählweise, die dieses Buch zu einem besonderen Leseerlebnis machen.

    Pickard County wurde von Kathrin Bielfeldt aus dem Amerikanischen übersetzt und das Buch wurde von Jürgen Ruckh herausgegeben. ISBN 978-3-948392-64-2, Polar Verlag, Preis: 16,00 €